DANIEL ILLGER
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JOURNAL

Von Geistern, Dämonen und Weihwasser-MGs.

6/20/2016

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Ich habe mich öfters gefragt, wie sich die Beliebtheit des Haunted House-Films im amerikanischen Horrorkino der letzten Jahre erklären lässt. Geschichten um Spukhäuser bzw. Spukschlösser sind ja die älteste Form der Gruselliteratur (kennt noch jemand Horace Walpoles The Castle of Otranto von 1764?), und knarrende Türen, sich verselbständigende Einrichtungsgegenstände und allzu lebhafte Schatten mögen in Anbetracht des Zustands der Welt in der Tat antiquiert, wenn nicht harmlos erscheinen.
Mir scheint aber, dass die klassischen Gespenstergeschichten einen großen Vorzug haben: Sie sind sehr intim und persönlich.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe überhaupt nichts gegen Zombiehorden, wahnsinnige Serienkiller (in verschiedenen Zuständen des Lebendig- und Totseins) und das fröhliche Verspritzen von Filmblut. Aber ein ruheloser Geist, der, häufig an einen bestimmten Ort gebunden, Erlösung sucht oder sein grausames Treiben im Jenseits fortsetzen will und zu dem einen oder anderen Zweck die Lebenden heimsucht – das hat, allem Gruselkitsch zum Trotz, eine gewisse Würde und Ernsthaftigkeit, die vielleicht daher rührt, dass fast jeder diese Geister kennt. Sie verdunkeln unser eigenes Leben, in Gestalt unverstandener Schmerzen, uneingestandener Schuld, die in allzu vielen Familien von einer Generation in die nächste weitergegeben werden.
Vor diesem Hintergrund zählte James Wans The Conjuring von 2013 für mich zu den besten Horrorfilmen seit langer Zeit. Was den Film meiner Meinung nach auszeichnet, ist, dass er nicht nur das Böse, sondern auch das Gute sehr ernst nimmt. Das Gute kommt hier in Gestalt des Dämonologen-Ehepaars Lorraine und Ed Warren. The Conjuring war eben auch eine sehr schöne Liebesgeschichte. Ich denke, man muss kein Fan der historischen Warrens sein, um es berührend zu finden, wie Vera Farmiga und Patrick Wilson die Beziehung dieser beiden gestalten, für die die Liebe zueinander unauflöslich verbunden ist mit dem Kampf um eine gemeinsame Wahrheit. Man muss auch nicht das christliche Pathos der Inszenierung teilen, um zu sehen, wie der Horror hier etwas gewinnt dadurch, dass das Böse nicht einfach auf dem Durchmarsch ist, sondern ein wirklicher Kampf stattfindet, sich der Verzweiflung eine Hoffnung entgegenstellt.
(So wie es in den 50ern üblich gewesen sein mag, dass der Held das Monster tötet und die blonde Schönheit heimführt, ist es heutzutage Standard, dass sich der Teufel am Schluss doch noch ins Fäustchen lachen darf – das eine kann ebenso langweilig, bieder und zeitgeistig-angepasst sein wie das andere.)
Die gute Nachricht ist, dass The Conjuring 2 die Tugenden des Vorgängers teilt. Zu selbigen gehört auch die präzise, einfallsreiche Inszenierung, die sich nicht nur auf Schockeffekte (die allerdings im zweiten Teil überstrapaziert werden), sondern auch auf die Poesie des Grauens versteht. Von der Dramaturgie des Horrors ist der neue Fall der Warrens vielleicht einen Tick weniger gelungen als ihr erster Auftritt. Dafür sind die beiden persönlich noch stärker bedroht – Lorraine in ihrem Glauben, Ed in seinem Leben –, und wenn man die Figuren ins Herz geschlossen hat, wird man für das Genre ungewöhnlich viele Herzschmerz-Momente erleben. Dazu gehört auch, dass sich The Conjuring 2 viel Zeit nimmt, um die Leiden und die Einsamkeit des Opfers zu zeigen – in diesem Fall ein kleines Mädchen, das nicht nur mit geisterhaften Heimsuchungen, sondern auch mit dem Unglauben ihrer Mitmenschen kämpfen – und dabei überraschend einfühlsam vorgeht.
Ironischerweise hat der Film da eine Schwäche, wo er eigentlich sehr stark ist. (Im Folgenden kommt vielleicht ein kleiner Spoiler.) Wir haben es hier nicht mit einem Problem-Bär, sondern mit einem Problem-Dämon zu tun. Die teuflische Nonne, die den Warrens die Hölle heiß macht, ist nämlich nicht nur teuflisch, sondern wirklich ein Teufel, lies Dämon, und kommt tatsächlich geradewegs aus der Hölle. Nun verlangt das Gesetz der Serie vermutlich die Steigerung. Wenn man von bösen Geistern zu Dämonen aufrüstet, gerät man aber schnell in eine alt bekannte Genre-Zwickmühle: einerseits ist da etwas unglaublich Mächtiges und Bedrohliches, das über Fähigkeiten verfügt, die das Menschliche weit überschreiten; andererseits muss dieses Mächtige und Bedrohliche ja irgendwie handhabbar gemacht werden (wenn es nicht gerade darum geht, die unbarmherzige und buchstäblich heillose Überlegenheit des Dämons zu zeigen, wie in Mike Flanagans brillantem Ocolus).
Bei diesem Spagat haben sich schon mancher Film, manches Buch etwas angeknackst, und das geht The Conjuring 2 nicht anders. Das ist nicht wirklich schlimm, aber etwas schade. Denn gerade wenn man Gut und Böse und den Glauben so ernst nimmt, wie es Wans Film dankenswerterweise tut, will die Dämonologie gut durchdacht sein.
Wobei wir wieder am Anfang wären: Die gute alte Gespenstergeschichte hat ja klare Regeln Aus jahrhunderterlanger Überlieferung „weiß“ man, wie sich Geister verhalten, was sie tun können, und was nicht. Das macht den Haunted House-Horror immer auch ein wenig anheimelnd (vielleicht mitunter zu anheimelnd), denn letztlich steht man auf sicherem Grund. Bei Dämonen sieht die Sache etwas anders aus; es sei denn man will den fünfhundertdreiundzwanzigsten Exorzismus auf die Bühne bringen, was natürlich auch immer wieder eine Gaudi ist.
Mir scheint, dass dämonische Wesenheiten dann am besten gelingen, wenn sie irgendwie in Verbindung mit einer Kinderperspektive auftreten, wie bei Neil Gaiman oder im Alice-Film des großen Jan Švankmajer, und es wäre spannend darüber nachzudenken, warum das eigentlich so ist.
Einstweilen verbleibe ich in der Hoffnung, dass die Warrens im angekündigten The Conjuring 3 nicht gegen Satan persönlich antreten müssen ­­– dann mit Weihwasser-MG und Kruzifix-Drone.


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Hi greeat reading your blog

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